Die Brennerbande, Teil 98


Der Weg in die Konditorgasse hatte sich hingezogen. Nicht, dass sie besonders langsam gegangen wären. Nein, Linnbeth war vielmehr ausgeschritten, als wollte sie an diesem Abend noch die Stadt umrunden. Aber das Gefühl, eher als nervendes Anhängsel hinterherzulaufen, hatte den Marsch sehr, sehr lang werden lassen.
Soldrang machte wie fast immer die Tür auf. Als Linnbeth ihn sah, streckte sie ihm die Hand entgegen und als er sie nahm, zog sie ihn an sich heran und sie umarmten sich.
"Soldrang. Lange nichts von dir gehört."
"Ich freu' mich, dich wiederzusehen." Und zur Überraschung der drei zusehenden Jungs lächelte Soldrang tatsächlich.


In der Küche saßen sie alle zusammen am Tisch. Selbst der Buttlertyp nahm sich einen Stuhl und teilte ein Glas Wasser mit ihnen.
"Vielleicht kannst du mir ja sagen, was hier eigentlich vor sich geht, Soldrang. Diese Jungs tauchen vor meiner Haustür auf, wollen was von Waffen wissen und erzählen mir was von Dämonen, sagen mir aber nicht, um was es geht. Und schon gar nicht, dass sie für Unterschnitt unterwegs sind. Bist du immer noch bei dem Schnösel angestellt?"
"Wie du siehst."
"Was hält dich bloß bei ihm. Die Bezahlung kann es ja nicht sein." Soldrang antwortete nicht und die Feldstraßler konnten sehen, dass Linnbeth nicht weiterfragen würde, so, als wüsste sie genau, was es war.
"Also erzählt mir mal, um was es eigentlich geht."
Und nach und nach zog sie ihnen alles aus der Nase. Vilets verschwinden und die Ritter, die Anschläge und ihre Vermutungen, den Angriff auf Unterschnitt und die Suche nach Dietstedt. Erst als sie später darüber nachdachten, wie es hatte kommen können, dass sie so leicht alles von ihnen hatte erfahren können, fielen ihnen die geschickt platzierten Einwürfe Soldrangs ein. Er hatte Brotkrumen ausgelegt, denen Linnbeth gefolgt war und die es ihr ermöglicht hatten, die richtigen Fragen zu stellen.
Und als die Erzählung endlich bei dem Zettel mit ihrem Namen darauf angelangte, lächelte sie zufrieden und lehnte sich zurück. Aber nicht, um sich auszuruhen, wie Gunnar zuerst dachte, sondern um etwas unter ihrem Bauschigen Mantel hervorzuholen.
Sie war eine Schönheit. Sie sah aus, als wäre sie ganz aus Bronze gegossen, an den Kanten glänzend, der Rest matt. Eine Faustgroße Trommel für sechs überdimensionierte Patronen wurde von dicken Streben mit dem Gehäuse verbunden. Über dem Griff war in das Gehäuse ein Rad mit sechs Zahlen eingelassen, davor der Abzug, ein stabiler Block, der nicht so leicht brechen würde. Nur das Stoffband, welches jemand um den Griff selbst gewickelt hatte, lenkte von der bronzenen Schlichtheit ab. Gunnar, der noch nie mit einer Waffe gekämpft hatte, runzelte die Stirn bei dem Anblick, Malandro und Tiscio hingegen konnten den Sinn hinter dem Band gut verstehen.
Linnbeth ließ die Trommel mit einer ruckartigen Handbewegung zur Seite ausklappen und entfernte zwei daumengroße Projektile, eher geformt wie Feuerwerkskörper denn als Bolzen, wie sie die meisten Geschosswaffen verwendeten. Sie stellte die beiden Geschosse auf den Tisch und blickte sich um.
"Sie ham ihre Waffe mitgebracht?"
"Ich wollte nicht ganz wehrlos sein, wenn ich mit euch mitgehe."
Gunnar griff nach einem der Projektile, Linnbeth hinderte seine Bewegung jedoch mit einem strengen Blick. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sie von der ferne zu betrachten. Es war nicht zu übersehen, dass die Spitzen der Geschosse nicht aus einem Metall gefertigt worden war, welches man normalerweise für solche Dinge verwendete, und so wie die eine glänzte, vermutete er, dass sie aus Silber gefertigt war, was bedeuten musste, dass die andere eine Eisenspitze besaß. Aber noch etwas fiel ihm auf: der vergrößerte Kopf. Und es konnte nur einen Grund dafür geben: er musste hohl sein und würde demnach noch mehr von dem Metall enthalten, dass auch die Spitze bildete. Der junge Erfinder musste einen Augenblick überlegen, warum man so etwas tun würde, bis ihm aufging, dass sich der Inhalt vermutlich wie Gift im Körper des Getroffenen verteilen würde. Eine perfide Waffe und er konnte und wollte sie nicht mit seinem Vater in Einklang bringen.
In diesem Moment klopfte es an der Tür und Soldrang ließ seinen Arbeitgeber hinein, der sich wenig später ebenfalls am Küchentisch niederließ.
"Du hast dich kaum verändert, Linnbeth, immer noch so hübsch wie früher? Ich hatte schon befürchtet, die Jungs würden dich nicht antreffen oder du würdest sie verscheuchen." Nur Malandro bemerkte, wie der großen Frau die Farbe ins Gesicht schoss. Da Soldrang den Raum wieder verlassen hatte und er sowieso gerade gewisse Bedürfnisse verspürte, verließ er die Küche, um den Buttler nach Linnbeths zu befragen.
"Frau Linnbeth ist eine tapfere Frau", antwortete Soldrang, jetzt wieder in einem weniger vertrauensvollem Ton. "Ich würde ihr mein Leben anvertrauen. Dasselbe würde ich allerdings nicht von meinem Geld sagen."
"Ich mein', was is' da mit Herrn Unterschnitt."
"Ich verstehe die Frage nicht, Herr Sabrecht." Die Antwort kam sofort und ohne jegliche Betonung, so dass auch Malandro begriff, dass der Buttler die Frage sehr wohl verstanden hatte, sie aber nicht beantworten würde.

Als Malandro in die Küche zurückkehrte, war Linnbeth bereits wieder gegangen. Auch Unterschnitt hatte sich verabschiedet und seine Freunde berichteten ihm auf dem Weg in ihre Kammer, dass der Detektiv mit seiner alten Bekannten ausgemacht hatte, dass auch sie sich nach dem mysteriösen Dietstedt umsehen würde.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04